Warum heißt eine Bushaltestelle in Steinbrunn Neue-Siedlung „Hiestand“? Die älteren SteinbrunnerInnen wissen es. Allen anderen sei gesagt: „Hiestand“ hat damit zu tun, was hier (dort) einmal stand. Und es geht um ein recht aufregendes Kapitel in der jüngeren Steinbrunner Geschichte.
15. Juli 1960: Sozialminister Proksch (genauer gesagt: Minister für soziale Verwaltung), fast die gesamte Landesregierung und eine Legion an „wichtigen Leuten“ nehmen an der Eröffnung eines Firmenareals teil. In den Festreden wird nichts weniger als die „Industrialisierung des Burgenlandes“ beschworen, die sich nun auch in Steinbrunn vollziehe. Der Prälat, der zur Weihe des Firmenareals angereist war, gesteht: Nach 46 Jahren im Priesteramt sei es für ihn die erste Segnung eines Firmengeländes.
Im damaligen Niemandsland zwischen der ehemaligen Werkskolonie und dem Dorf Steinbrunn hatte das Welser Textilunternehmen „Hiestand-Mitterhauser & Co“ eine architektonisch spektakuläre „Wäschefabrik“ errichtet. Neben dem fast utopisch anmutenden Werk mit seiner Glaskonstruktion (siehe Foto unten) und einer Halle für die Näherinnen wurden bungalowartige Wohnungen für die Betriebsführung gebaut. Der Betrieb war modernst eingerichtet. Bei der Eröffnung waren schon rund 85 Näherinnen beschäftigt. Es wurden Hemden, Bett- und Tischwäsche erzeugt. Insgesamt arbeiteten 1960 rund 120 Menschen in der „Himico“, wie das Werk ab nun genannt wurde.
Damit erklärt sich der Name der Bushaltestelle, die damals eigens für die „Himico“-Frauen eingerichtet wurde. Aus der „Hiestand“ wurde später „Burg Hemden“ – aber das ist eine andere Geschichte. Das Werk verlor im Laufe der Jahrzehnte das avantgartistische Flair der Anfangszeit, heute präsentiert sich das Gebäude recht unspektakulär. Foto: Das „Himico“-Werk in Steinbrunn Neue-Siedlung, 1960 (Foto: Susi Kaltenboeck).
Quelle: BF-Archiv
Nachtrag 1: Die Aufbruchstimmung im Textilwerk „Himico“ hielt nicht lange. Im Mai 1962 kam es zu Tumulten im Werk, die so schlimm waren, dass sogar die Gendarmerie alarmiert wurde. Was war passiert? Die Firmenleitung hatte mehrere Näherinnen gekündigt, weil sie die „Mindestarbeitsleistung“ nicht erreicht hätten. Zuvor hatte das Management mit der Stoppuhr die Arbeitsleistung pro Zeit der Näherinnen „erhoben“ und wollte diejenigen, die nach ihren Ergebnissen schlecht abschnitten, hinauswerfen. Diese skrupellose Vorgehensweise der Betriebsleitung sorgte unter den 150 Näherinnen für helle Aufruhr, die Stimmung im Werk kippte. Nur mit Mühe konnten die Gemüter beruhigt werden, es kam zu keinen Entlassungen.
Nachtrag 2: Die in diesem Block schon einmal vorgestellten Architekturfotos aus dem Wiener Landesarchiv (hier abrufbar) zeigen die Bungalows für das Management der „Himico“, die heute noch bestehen, aber von der Straße nicht mehr einsehbar sind (vielen Dank für den Hinweis an Vizebürgermeister Didi Csögl!).
Nachtrag 3: Die Entstehungsgeschichte der „Himico“ zeigt auch, wie sich die Ausrichtung der Gemeinde Steinbrunn geändert hat. Zur Erinnerung: Mit 1.1.1959 hatte sich Stinkenbrunn in Steinbrunn umbenannt. Und die Gemeinde hatte zwei große wirtschaftliche Ziele: neue Arbeitsplätze im Ort durch Betriebsansiedelungen und Tourismus am Steinbrunner See (der ja nicht Stinkenbrunner See heißen sollte). Am See, dem ehemaligen Tagbau II, wurde das Seebad errichtet, mit der „Hiestand“ hatte man einen neuen, großen Betrieb nach Steinbrunn geholt. Diese standortpolitischen Ziele gelten so heute nicht mehr. In den vergangenen Jahren hat man sich in Steinbrunn stillschweigend davon verabschiedet, größere Betriebe im Ort ansiedeln zu wollen. Der Landesentwicklungsplan weist Steinbrunn trotzt guter Verkehrsanbindungen (Bahn, Autobahn) nur mehr als klassischen Wohnort aus – im Gegensatz zu Müllendorf etwa, wo man sehr wohl auf Betriebsansiedlungen setzt. Auch der Tourismus ist kein ausgewiesener Schwerpunkt der Gemeinde mehr: Steinbrunn fällt nur mehr in die Ortsklasse III – die unterste Klasse, wo noch touristische Aktivitäten (wie etwa Nächtigungen) festgestellt werden.